Kambodscha

Ikat stand in Kambodscha bis zum Regime der Roten Khmer in voller Blüte. Die Tempeltänzerinnen waren schon vor mehr als 1 000 Jahren mit diesen feinen Seidenstoffen bekleidet. Ikats hatten kultische Bedeutung. Die Terrorherrschaft der Roten Khmer hat diese Kunst beinahe vollständig vernichtet. Die Frauen, die diese Ikats gewebt hatten, wurden nahezu alle ermordet, die Webstühle zerschlagen, die Maulbeerbäume – die Nahrung für die Seidenraupen – und die Färberpflanzen zerstört.
Vor etwa 20 Jahren fand der Japaner Kikuo Morimoto in ­einem Flüchtlingslager eine alte Frau, die noch über dieses Handwerk Bescheid wusste. Er suchte in abgelegenen Dörfern in der Gegend von Takeo, südlich von Phnom Penh, nach überlebenden Weberinnen. Mit deren Hilfe gründete Morimoto in Siem Reap eine Manufaktur, das „IKTT Institute for Khmer Traditional Textiles“, in der diese alte Tradition wieder zum Leben erweckt wurde. Heute besteht in der Nähe der Tempelanlage von Angkor ein Dorf mit ungefähr 30 Familien. Dort werden wieder die Maulbeerbäume und alle zum Färben nötigen Pflanzen angebaut, die Webstühle errichtet und ausschließlich die alten traditionellen Ikat-Muster gewebt.

Usbekistan

In Isfahan habe ich den letzten dort ansässigen Ikatweber getroffen. Im Iran bzw. im historischen Persien hat die Ikatweberei nie den Stellenwert eingenommen wie in anderen Regionen, wo hingegen die geknüpften und gewebten Teppiche höchste Blüte erreichten.
In Usbekistan ist die Seiden- und Ikatproduktion seit dem Altertum nachweisbar. Durch den Handel entlang der transkontinentalen Seidenstraße gelangten schon sehr früh Seidenraupen nach Usbekistan, wodurch der Seidenherstellung nichts mehr im Weg stand. Ikats, auch Flammtücher genannt, wurden für Kleider und Wandbehänge gefertigt und galten als Zeichen besonderen Wohlstands.
Als eines der aufwendigsten Textilien gilt der Samtikat aus Usbekistan. Beim Samt wird zum Grundgewebe ein weiteres Schuss- oder Kettfadensystem derart eingearbeitet, dass sich über dem Grundgewebe Schlaufen bilden. Diese werden dann abgeschnitten, wodurch sich der für den Samt charakteristische Faserflor ergibt.

Bengalen – Kanthas

Diese gequilteten und bestickten Abdeckungen und Schals sind eine hoch entwickelte Form der Volkskunst im historischen Bengalen, das sich auf die heutigen Gebiete von Bangladesch erstreckte.
Kanthas sind meist weiß und zum Großteil mit feinen farbigen Linien und kleinen Flächen bestickt. Man findet figürliche, erzählerische, aber auch abstrakte Motive.
Zusätzlich zur Stickerei sind Kanthas in den Zwischenräumen der Stickerei oft gequiltet. Die Technik des Quiltens, des Durchsteppens durch mehrere Stofflagen, findet man immer in Gebieten mit kühlen Wintern. Mehrere Lagen alter weißer Saris und Dotis werden übereinandergeschichtet und zusammengeheftet. Die Verwendung von Altkleidung hat in Indien einen religiösen Hintergrund. Lumpen sollen vor dem bösen Blick schützen. Neben diesem magischen Aspekt ist auch ein praktischer von Bedeutung. Die abgetragenen Saris sind durch das häufige Waschen außergewöhnlich weich und wärmend.
Sie wurden ursprünglich nur innerhalb der Familie gefertigt und benutzt und waren auch ein Teil der Mitgift. Kanthas zeigen regionale Unterschiede in der Musterung. Am häufigsten wurden Kanthas als Abdeckungen oder Hüllen für unterschiedliche Gegenstände gefertigt.
Ursprünglich wurde das Stickgarn, das traditionell weiß, rot und indigoblau war, ebenfalls aus Altkleidern gewonnen, in dem man Fäden aus alten Sari-Bordüren herauszog und wiederverwertete. Die Dominanz dieser Farben dürfte sich aber nicht nur durch das Recyceln alter Stücke entwickelt haben, denn sie besitzen auch tiefe symbolische Bedeutung.
Die Kanthas sind mit verschiedenen Zierstichen geschmückt, die dünnen Linien meist mit dem Rückstich oder Stielstich. Flächen sind häufig mit Spannstichen, Sternchenstichen oder Vorstichen ausgefüllt. Seltener findet man auch den Knopflochstich und den Kreuzstich. Die Art der Stickerei und auch manche Motive zeigen nordindische oder auch europäische Einflüsse. Neben diesen ornamentalen Mustern gibt es eine große Vielfalt an „handgezeichneten“ Motiven. Man findet Szenen des häuslichen Lebens, Tiere, Menschen und auch Innovationen wie etwa Eisenbahnen und Ähnliches. Das Zentrum der Kanthas bildet häufig eine Lotusblüte.

Punjab – Phulkaris

Die Sticktechnik Phulkari heißt in Punjab „Blumen-Werk“ oder „Blumen-Garten“ und war ursprünglich die Bezeichnung für alle Arten von großen bestickten Kopftüchern. Diese traditionell von Frauen hergestellten Stickereien stammen aus dem Norden Indiens, vor allem aus dem Punjab.
Phulkaris werden mit ungezwirnten Seidenfäden meist auf handgewebtem bräunlich rotem Baumwollstoff, genannt Khadar, mit Spannstichen aufgestickt. Diese tiefrote Farbe der Tücher hat auch symbolische Bedeutung. Da die Baumwollgewebe auf kleinen Webgeräten angefertigt werden, die nur 45 bis 60 cm schmale Stoffbahnen ermöglichen, werden für die Herstellung eines Phulkaris drei bis vier Stoffstreifen zusammengesetzt. Die gefachte, also ungezwirnte Seide (Pat)wird aus Afghanistan, Kaschmir und Bengalen importiert. Da die Seide sehr teuer ist, verwendet man den Spannstich, da bei dieser Sticktechnik der Faden nur auf der Schauseite aufliegt und kein Material verschwendet wird. Diese spezielle Technik kennt man seit dem 15. Jahrhundert. Es wird vermutet, dass sie mit nomadisierenden Stämmen Zentralasiens nach Indien gelangte.
Die Gestaltung der Phulkaris ist regional unterschiedlich und wird auch maßgeblich von der vorherrschenden Religion beeinflusst. Die geometrischen Muster der Moslemfamilien werden traditionell von den Müttern an die Töchter weitergegeben, jede Familie hat dabei ihre eigenen bevorzugten Motive. Diese werden zum Teil nach dem Gedächtnis gestickt oder man orientiert sich an älteren Exponaten. Entweder werden die Konturen der Ornamente vor dem Sticken mit einer Nadel in den Stoff geritzt oder es erfolgt eine „Vorzeichnung“ mit einfachem Heftstich.
Die Arbeit an den Phulkaris wird schon mit der Geburt eines Mädchens von der Großmutter begonnen, eingeleitet von ­Ritualen und Gebeten. In hinduistischen Regionen stickt man auch figurale Motive und ganze Alltagsszenen. Diese Tücher, die vor allem im östlichen Punjab von Hindufamilien hergestellt werden, bezeichnet man als Sainchi.

Westindien – Raabari

Der Name „Rabari“ bedeutet „ohne Heimat“ und weist auf das Nomadentum dieses Volkstamms hin. Es gibt eine Legende, die einerseits vom ursprünglichen Heimatland der Rabari erzählt, und andererseits auch auf die spezifische Farbsymbolik der Kleidung der Rabari-Frauen Bezug nimmt: „Der Überlieferung entsprechend lebten ihre Vorfahren als Kamelhirten im Gebiet von Marwar in Rajasthan. Als einer der moslemischen Könige ein Rabari-Mädchen für sich gewinnen wollte, verweigerte sich der Stamm diesem Ansinnen und floh nach Sindh in den Schutz eines anderen Herrschers. Als dieser im Kampf getötet wurde, mussten die Rabari sich erneut in Sicherheit bringen und zogen durch Kachchh. Ihre Frauen aber trugen schwarze Kleidung als Zeichen der Trauer über die tödliche Auseinandersetzung.“
Bis heute sind die in der Grundfarbe schwarzen Woll-Schleier ein Charakteristikum der Kachchhi-Rabari-Kleidung. Die heutigen Rabari sind meist Schaf- und Ziegenhirten, leben vom Verkauf der Milch und verspinnen die Wolle der Tiere, welche anschließend von professionellen Webern verarbeitet wird. Wie bei vielen anderen Volksgruppen spielt die Stickerei vor allem für die Mitgift eine wichtige Rolle, wobei die Mütter bei der Geburt einer Tochter mit der Anfertigung der Brautausstattung beginnen. Bis heute ist das Sticken ein zentraler Aspekt im Leben der Rabari-Frauen, was sich in den aufwendigen Dekorationen der Kleidung zeigt. Wegen der nomadischen Lebensform der Rabari weisen ihre Stickereien unterschiedliche Kultureinflüsse auf.
Die vorherrschende Sticktechnik Pakka ist der Leiterstich, eine Variante des Kettstichs, der breite strickleiterartige Spuren bildet, die auch sehr gut geschwungen gearbeitet werden können. Das Wort bedeutet „rein“ und wird als Begriff für kompakte Stickereien aus Leiterstichen und doppelten Knopflochstichen verwendet.
Ein Kennzeichen der Rabari-Stickerei sind Motive, die von kurzen parallelen Linien begleitet werden. Häufig sind diese Stickereien mit Spiegelstickerei, Shishadur, kombiniert.